KATARINA M. MATTICH

 

 

Europa

 

Kein Wächter davor
nur hinter der Tür
wartet die Hoffnung.
Vor dem Einlaß
steht Schweigen und
zugeworfene Stille.

Irgendwo vor dir
kreuzt deinen Weg
beharrliche Furcht.
Nur so am Rande
vor dem Tag
die offene Tür.

 

Asylsuchende

 

Fremde Sonne
schaut dich an
mit rotem Auge.
Aus kalter Blaue
fallen Vögel im Flug.
Hängende Staubwolken
über dem Marmorbruch.
Schwankendes Röhricht
am Bergfluß
Kieselsteine markieren
die Furt.
Wärmende Worte
empfangen dich.
Du bleibst.

 

Gefangen

 

Vorwärts gestossen.
Das Muss im Rücken.
Auf schwankendem Steg
die Schlucht überqueren
willenlos und wissend
dass unter Toten
noch lebende
die Hände ausstrecken
um Hilfe flehen.

Ungezählte Augenpaare
klagen an.
Jeder Blick ein Stich.
Peitschenhiebe
hinterlassen Striemen.
Blut tropft.
Vermischt sich mit
Schlamm und Tränen
in dem sie ertrinken.

 

 

 

 

Karin Firlus

 

 

Speyer – meine Liebe auf den zweiten Blick

                                 

 

Ein Samstagmorgen im Juni. Ich stecke im Stau. Es ist das vierte Mal in meinem Leben, dass ich in Speyer bin.

 

Als ich zehn war, führte mich ein Schulausflug hin. Mein erster Eindruck war miserabel: ein grauer, feuchter Novembertag; der Dom dunkel und kalt, das Historische Museum verstaubt und alt; die Maximilianstraße nebelverhangen. Ich fragte mich, wie Menschen hier leben konnten, ohne schwermütig zu werden.

 

Zehn Jahre später war ich wieder unfreiwillig dort. Ich saß in einem Fiat, ein Fahrlehrer neben mir, ein Prüfer hinten. Bisher war alles gut gegangen, sogar das Rückwärtseinparken, und das will ja bekanntlich einiges aussagen beim weiblichen Geschlecht.

   „Bei der Nächsten bitte rechts!“, sagte der Prüfer und meinte, „Möglichkeit“. Ich verstand „Straße“ und bog in die nächste ein. Nach etwa zwanzig Metern sagte er trocken: „Danke, wir sehen uns in einigen Wochen wieder.“ Damit stieg er aus.

   Verdutzt schaute ich den Fahrlehrer an. „Sie sind in eine Einbahnstraße gefahren…“ Da schwor ich mir, dieser Stadt endgültig den Rücken zu kehren.

 

Diesen Vorsatz hielt ich etwa fünfzehn Jahre lang durch, bis ein Bekannter mich zu einem Kneipenbummel durch seine Stadt einlud. „Du wirst sehen, es wird dir gefallen! Du musst endlich mal aus deinem Alltagstrott heraus und andere Luft schnüffeln!“

   Dagegen war nichts einzuwenden, aber musste es ausgerechnet Speyerer Luft sein? Doch als Alleinerziehende mit zwei Kindern ist man nicht wählerisch, wenn sich die Gelegenheit ergibt, einen Samstagabend nicht fernsehend auf dem Sofa zu verbringen.

   Also sagte ich zu und war überrascht, wie sehr ich den Abend genoss. Das Kellerlokal war urig, das Essen schmeckte vorzüglich. Das Weinlokal danach war so gemütlich, dass ich dort ewig hätte sitzen und diskutieren mögen. Die letzte Kneipe war schummrig und nicht unbedingt mein Fall, aber ich tanzte seit Ewigkeiten einmal wieder und verlor mich in der Musik.

   Solchermaßen angenehm überrascht nahm ich die Einladung zum Frühstück zwei Wochen später an.

 

Nun saß ich also samstagsmorgens kurz nach neun hinterm Steuer, nicht weit vom Königsplatz. Als mein Auto sich weiter nach vorne gearbeitet hatte, sah ich, dass Marktstände den Platz einnahmen. Dort konnte ich also schon einmal nicht parken. Nach einigen Metern Vorwärtsschleichen und einer gefühlten halben Stunde hatte ich den Platz fast hinter mir gelassen und war verunsichert. Hätte ich die Straße davor links abbiegen müssen? Ich nahm meine Straßenkarte vom Beifahrersitz und sah nach.

   „Kann ich Ihnen helfen?“

   Die Stimme zu meiner Linken ließ mich zusammenschrecken. Wegen der Hitze hatte ich mein Fenster heruntergekurbelt, was der Fahrer auf der Gegenfahrbahn auch getan hatte. Etwa einen halben Meter links von mir saß er in einem knallroten Golf und grinste zu mir herüber.

   Ich schickte ihm ein strahlendes Lächeln. „Ich suche die Allerheiligenstraße.“

   „Na, die haben Sie schon fast gefunden. Noch ein paar Meter geradeaus, dann die Erste links, das ist sie schon.“

   Erleichtert bedankte ich mich und freute mich über die spontane und freundliche Hilfe. Als habe der Stau nur darauf gewartet, dass ich meine Wegbeschreibung bekam, ging es plötzlich zügig weiter.

 

Einige Minuten später saß ich auf einem Balkon im zweiten Stock eines alten Hauses, einen Becher pechschwarzen Kaffee in Händen, und schaute hinunter auf alte Gemäuer und Innenstadtgärtchen. Aus der Küche wehte mir der Duft von frisch gebackenen Croissants in die Nase. Sofort fühlte ich mich nach Paris zurückversetzt, wo ich früher auf meinen Reisen oft und gerne in einem Straßencafé saß, einen Grand Noir trank, genüsslich ein krosses Croissant vertilgte und die vorbeieilenden Menschen beobachtete.

   Die folgenden beiden Stunden verflossen in müßigen Gesprächen mit sympathischen Menschen in einer Art Leichtigkeit-des-Seins-Zustand. Er hielt an, als ich danach gemächlich über den Markt schlenderte und da ein Schälchen Erdbeeren, dort einen frischen Salat und zum Schluss noch ein Sträußchen Sommerblumen erstand.

   Leichtfüßig lenkte ich meine Schritte zum Auto zurück und bedauerte, dass ich schon heimfahren musste. Irgendwie hatte Speyer sich von einem düsteren Ort mit zu vielen Einbahnstraßen in eine lebensfrohe, lichtdurchflutete Stadt verwandelt.

   Wehmütig ließ ich den Dom hinter mir, dessen Türme in einen hellblauen, wolkenlosen Himmel ragten, um zu meinen Kindern und dem Dorf mit den Schubladen-denkenden Menschen zurückzukehren, in dem ich mich schon länger nicht mehr wohlfühlte.

   Als ich zu Hause ankam, hatte sich eine Idee in meinem Kopf festgesetzt: Wir ziehen nach Speyer! Zwei Jahre später konnte ich meinen Entschluss in die Tat umsetzen.

   Das ist jetzt 23 Jahre her und ich habe das Gefühl, dass meine Wahlheimat genau das Zuhause ist, das ich schon immer gesucht hatte.

 

Manchmal dauert es eben ein bisschen länger, bis man seine große Liebe gefunden hat!

 

 

Elisabeth Rödelsperger-Pfeiffer


Geschichten haben keine Beine


Lügen haben bekanntlich kurze Beine.

Aber Geschichten haben gar keine Beine.

Sie müssen getragen werden.


Ich und du, wir alle tragen sie in unseren Herzen.

Manchmal drängen sie heraus.

Wir nehmen sie auf und geben sie nach draußen.

Wir geben sie  nach draußen mit unserer Stimme.

Mit unseren Gesten und Blicken.


Jetzt werden sie getragen auf den Wellen von Licht und Luft.

Bis sie wieder aufgenommen werden

Von Ohren, Augen und offenen Herzen.



Herbst in der Pfalz

Der Herbst
In der Pfalz
Riecht und schmeckt nach
Überreifen Zwetschgen,
Zu frischen Walnüssen
Und neuem Wein.

Licht flutet goldenwarm über Weinberge.
Wind streift sanft über Haut und wildes Kraut.
Wespen kommen und krabbeln über gefallene Äpfel.

Der Herbst
In der Pfalz
Weckt Traurigkeit.

Traurigkeit?
Melancholie?
Hüzün?

Hüzün!
Trauer auf Türkisch
Im Herbst
In der Pfalz

Maria Knüttel

 

 

Ich bin ein Multi-Kulti-Mensch

 

Geboren in Russland. Die Vorfahren stammen aus der Ukraine, Finnland, Italien. 

Wegen meiner Liebe neue Welten zu entdecken, ein Umzug in ein anderes Land.

Der Freundeskreis: Rumänen, Deutsche, Russen, Iraner, Engländer, Amerikaner und Südamerikaner.

Leute fühlen sich angezogen von der Freundschaft, nicht durch Nationalität,

Sondern durch innere Kräfte.

Vorliebe zu Sprachen: Deutsch, Englisch, Russisch, Spanisch.

Welche ist meine Muttersprache?

Russisch mit der Muttermilch aufgenommen, Spanisch und Englisch gelernt.

Deutsch ist mein Schicksal – ein Instrument, ein Mittel zu denken und meine Gefühle auszudrücken.

Wie ein Maler ohne Hände, der seine Bilder mit dem Pinsel im Mund malt,

Male ich meine Bilder in einer fremden Sprache.

Dadurch widme ich meine Werke meinem zweiten Heimatland,

Das ich sehr liebe – Deutschland.

So bin ich – ein Multi-Kulti-Mensch.

 


Ein Brand

 

Ich habe gestern einen Feuerlöscher genommen

Und einen Brand in meinem Herz gelöscht.

Jetzt gibt es viel weissen, kalten Schaum.

Nur Schaum und keine Liebe.

Ich weiß, das ist nicht das Ende von meinen Gefühlen.

Das ist der Anfang von etwas Neuem, das auf mich zukommt.

Mit der Zeit wird der gebrannte Garten meiner Seele wieder

Eine grüne Wiese mit bunten Blumen haben.

Nur für dich wird die Eingangstür zu diesem wunderschönen Garten

Für immer geschlossen bleiben.